"Gedenktage"
Die westliche Welt hat ja so ihre Gedenktage, die auch ich erst einmal so nach und nach kennen lernen muss. Am 21. Januar dieses Jahres hörte ich, Radio Köln sei es gedankt, vom internationalen Tag der Jogginghose.
Was war ihr passiert, dass man ihrer gedenken musste? schoss es mir durch den Kopf, dann war mein Fahrziel allerdings erreicht (Radio Köln höre ich, sorry allen Fans, nur im Auto), aber die Jogginghose blieb in meinem Kopf. Dank Google erfuhr ich, dass heute nicht nur die Jogginghose geehrt wird, sondern auch der Müsliriegel in den USA, das Eichhörnchen, und die Menschen, die Du magst und denen Du am heutigen Weltknuddeltag mal ganz offenherzig Deine Zuneigung zeigen darfst, indem du sie kräftig knuddelst. Und das am 75. Geburtstag von Placido Domingo. Vorbei die Zeiten, an denen Dich Gedenktage auf Friedhöfe schickte, in die Geschichtsbücher blicken oder an furchtbare Tragödien denken ließen.
Ich gedachte meiner Jogginghose zuhause, einer treuen Gefährtin seit – kurz nachgerechnet – mindestens achtzehn Jahren, allerdings schwächelte sie in letzter Zeit im Gummizug, so dass eine Neuanschaffung am Tag der Jogginghose sicherlich Sinn machen würde, zumal zum besseren Nachrechnen und in Zeiten des Schlussverkaufs.
Beim Googeln im Büro erfuhr ich, dass am Jogginghosentag dazu aufgerufen wird, der einstigen Modesünde namens "Jogginghose" zu gedenken, indem sie einen Tag lang getragen wird, auch in der Öffentlichkeit.
OK, das war zu spät bei mir angekommen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Also zog ich nach Feierabend los (ich arbeite im Stadtzentrum, so dass ich solche Spontanentscheidungen auch immer zügig umsetzen kann) in das erste einschlägige Sportgeschäft.
Herrlich, sag ich Ihnen, abends um 19 Uhr auf der Schildergasse: entspanntes Flanieren sowie entspannt herumstehende Verkäufer/innen, sowie dann auch entspannte Kunden wie ich. Was ich allerdings an reduzierten Jogginghosenpreisen wahrnahm, ließ meine Entspannung langsam schwinden. Man soll sich ja im Alltag bemühen, ein einmal gefühltes positives Energielevel so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Ich gedachte also, nach all diesen Preisschocks, mit liebevollen Gedanken meiner nach wie vor topmodischen, hervorragend sitzenden Jogginghose, und beschloss, sie noch nicht dem Tode, also dem ewigen Gedenken zu weihen. Im Kaufhof nebenan würde ich das gute alte Gummiband erstehen und in ihren Bund ein Neues einziehen. Gut ist, Geld gespart. Dem Gedenktag sei gedankt.
Doch es ging weiter hinein in die Abteilung der Laufschuhe, denen ich plötzlich gedachte. Die hatte ich viel nötiger, und älter als drei bis vier Jahre dürfen die ja auch gar nicht werden, sonst schadet es unseren Füßen und der Laufschuhindustrie. Meine kamen sicherlich auf sechs Jahre. Ein netter Verkäufer nahm sich meiner an und befragte mich wie mein Orthopäde nach Hexenschüssen und sonstigen Beschwerden.... Hervorragend, dachte ich, hier bist Du richtig. Ich glaube an innere Führung. Als er schließlich alles Wesentliche von mir wusste, meinte er fürsorglich, dass die Schuhe mit den Preisreduzierungen für mich leider nicht geeignet seien. Zu wenig Dämpfung. Wollte ich ihm einmal glauben. Ein modisches Paar weiter rechts fiel mir sofort in die Augen, als wir gemeinsam die große Laufschuhwand betrachteten. Zart verwaschene Rot-und Rosétöne, schicke weiße Laufsohle, leuchtend gelbe Schnürsenkel. Da schlägt doch jedes weibliche Herz einer Joggerin aus dem Frequenzbereich. Meine alten waren so grau wie eine Kirchenmaus (so werde ich ihrer gedenken, diesen treuen Mäusen), wenn ich diese neuen hier mein eigen nenne. Freudestrahlend hielt er sie mir hin während ich das Preisschild beäugeln konnte, bevor sich der nette Verkäufer dezent davor platzierte. Das durfte aber doch jetzt wirklich nicht wahr sein. Für den Preis könnte ich ein IPod, Smartphone oder etwas derart Haltbares erwerben, auf jeden Fall etwas, das bei meinem Userpensum nicht so schnell ergrauen würde. Ich winkte ab, nein, niemals, bei allem Gedenken an meine Haushaltskasse. Wir brauchen einen Haushaltskassentag!
„Probieren Sie diese bitte einmal, es geht mir nur um das Modell, den Sitz. Dieser Schuh hat die beste Dämpfung, die je auf dem Markt war. Mehr kann man seinen Bandscheiben, Knochen, Sehnen und Bändern wirklich nicht bieten“. Klar, so hätte ich als Verkäufer/in auch argumentiert, aber sein netter Blick ...Sie verstehen schon. Der Schuh, oh, welch eine Wonne, und ich durfte ihn sogar laufend ausprobieren. Fachmännisch folgte mir sein Blick, dann rieb er sich das Kinn, sah mir treuherzig in die Augen und fragte: „Sind Sie eine mutige Frau?“ Ich visualisierte, mit diesen herrlichen Dingern aus dem Laden zu stürmen und er würde die Alarmdinger vorher abknipsen (hätt ich ihm zugetraut). „Na ja, Bungee-Jumpen würde ich nicht dafür, scherzte ich.
„Warten Sie einen Augenblick, bin gleich wieder bei Ihnen“, und weg war er, stand aber schon nach wenigen Sekunden wieder vor mir. Aus dem Karton funkelte mir ein lila-leuchtendes Paar Laufschuhe entgegen. „Muss man dafür mutig sein?“ frage ich eher mich als ihn. „Es ist genau dieses fantastische Modell, die beste Dämpfung. gleicher Ursprungspreis. Aber ..in einer etwas anderen...! Wir haben es nach Wochen aus dem Verkauf genommen, die Farbe lief einfach gar nicht. Wir haben noch alle Größen auf Lager. Na ja, aber... es geht ja auch um Ihre Bandscheiben... , da sollten Sie...“ Ich griff beherzt in den Karton, mutig sein konnte man nicht alle Tage. „Die können Sie für die Hälfte haben, neunundneunzig“.
Lila, das zieht, scherzte man früher, aber sooo schlimm fand ich die Farbe nun wirklich nicht. So trug ich nun anstelle der Jogginghose neue Joggingschuhe, um wenigsten diese am heutigen Tag in der Öffentlichkeit zu ehren.
Am nächsten Tag, ein herrlicher Januartag, machte ich früh Feierabend und legte los. Können Sie sich vorstellen wie verdattert ich war, als ich nach nur ein paar hundert Metern angehechelt wurde. „Hey, coole Schuhe!“ Und etwas später überholte mich jemand und frage, wo ich die erstanden hätte. Die Farbe sei ja megascharf. Ich nannte die entsprechende Bezugsquelle und trabte weiter. „Cool shoes“, flog es mir ein weiteres Mal entgegen und ich fragte mich, ob der Verkäufer mich nicht.... Egal. Es lohnt sich, auch mal richtig mutig zu sein.
Text/Foto: ©Lydia Zteid