Als ich nach Deutschland kam...Levent Seyhan
Gastarbeiter aus der Türkei und Italien erzählen, wie sie in den 60-iger Jahren nach Deutschland kamen und eine Deutsche Seniorin berichtet, wie sie die Zuwanderung erlebt hat. In der achten Folge dieser Artikelserie berichtet Levent Seyhan über ihre Erlebnisse:
Levent Seyhan
Geboren am: 16.10.1948
Geburtsort: Demirci / Türkei
In Deutschland seit 11.11.1970
Grund der Einwanderung: Arbeitsvertrag mit Ford
Beruflicher Werdegang: Ford-Arbeiter
Urlaubsort: Izmir – Türkei
Levent Seyhan ist ein offener und geselliger Mensch. Er ist Ein Mann, wie ein Baum. So groß wie seine Statur, scheint auch sein Herz zu sein. Immer wieder gibt er lustige Anekdoten zum Besten und bereichert die Runde durch seine Kommentare. Nach ungeduldigem Warten darf auch er erzählen, warum er nach Deutschland kam und was er hier erlebt hat.
Guten Tag,mein Name ist Levent Seyhan. Ich bin 1970 mit 22 Jahren nach Köln gekommen und habe bei Ford gearbeitet.Am Anfang habe ich in einem Wohnheim in Vingst gewohnt.
Seine impulsive Art hat Levent nach Deutschland geführt. Er hatte Streit mit seinem Vater. Durch ein Erdbeben wurde das Haus der Familie beschädigt. Es hatte einen Riss. Der Vater wollte es überdecken, doch Levent sagte, nein das ist zu gefährlich. Schließlich befand es sich an einer belebten Straße. Sie wurden sich nicht einig und so wollte Levent eigene Wege gehen.
Ich wollte eigentlich als LKW- Fahrer arbeiten und nach ein paar Jahren zurück in die Türkei gehen.
Levent Seyhan landete bei Ford. Er hatte einen Arbeitsvertrag, befristet auf ein Jahr bekommen. Schließlich blieb er und arbeitete bis 1998 in dem Kölner Werk.
Ich bin nach Deutschland gekommen und ich wusste, ich muss kämpfen. Ich dachte mir, was würden sie in der Türkei sonst über mich denken?
Die Beziehungen zu vielen Freunden und Verwandten in der Türkei verschlechterten sich im Laufe der Zeit. Wie viele der Teilnehmer erzählt auch Levent, dass erwartet wird, dass die in Deutschland Lebenden, die daheim Gebliebenen unterstützen. Oft wird nicht einmal nachgefragt, sondern einfach eine Bestellung aufgegeben.
Woher diese Erwartungen kommen, weiß man nicht genau. Sicher aus Unwissenheit. Doch ist es auch typisch für Deutschländer (wie die deutschen Türken genannt werden), sich mit Statussymbolen zu
zeigen. Sie schicken Bilder mit Fernseher, kommen mit einem neuen Auto in die Türkei oder tragen einen Hut.
All das und sicher auch Levents Gutmütigkeit haben ihm eine Lehre erteilt.
Türkei ist für mich: Sie nutzen mich aus. Ich kann nicht Nein sagen. So hat er einmal sogar einen Kredit aufgenommen, um einen verwandten Mann bei der Familiengründung zu unterstützen.
Er brauchte viel Geld. Einen Teil habe ich selber aufgebracht und für den Rest habe ich einen Kredit aufgenommen.
Er zahlt keine Zinsen dafür, aber ich. So etwas hat die Beziehungen zur Türkei verschlechtert.
Levent Seyhan ging allein nach Deutschland. Er hatte hier keine Familie. Doch er fand Freunde. Sie haben ihm geholfen und er ist ihnen sehr dankbar dafür. Zu Beginn lebte er etwa fünf Jahre im Arbeiterwohnheim.
Alles war sehr klein. In den Zimmern wohnten vier Personen und die Küche benutzten sogar sechzehn Personen. Da vielen das deutsche Essen nicht zusagte, kochten sie hier für sich. Die deutsche Sprache lernte Levent auf seine ganz eigene Art.
Ich hätte erst einmal zur Schule gehen sollen und Sprachunterricht nehmen. Später dann einen Beruf lernen. Mein Chef hat mich angebettelt, ich solle zur Schule gehen, doch ich bin lieber zur Disko gegangen. Bei Ford gab es Kurse für wenige. Eigentlich brauchte man bei Ford kein Deutsch lernen, denn es gibt genug Türken, die einem helfen. Es war immer einer da, den man fragen konnte.
So lernte Levent bspw. durch den ,Express‘. Die Bilder und die einfache Sprache ermöglichten es ihm, sich die Inhalte zusammenzureimen. Oder Levent sprach die Menschen konkret an. So ging er in ein Lokal und suchte sich einen Deutschen aus. Er sprach denjenigen an und sagte:
Ich gebe dir Bier aus und du erzählst mir dafür etwas auf Deutsch.
Und so lernte er langsam die deutsche Sprache zu sprechen und zu verstehen.
Levent Seyhan hat einen Sohn. Er ist in der Türkei geboren. Mittlerweile leben er und Levents Frau hier in Deutschland. Ich wünsche mir, dass er etwas intelligenter ist als ich – er hat ein gutes Herz und ist hilfsbereit. Levent hat ihm die höhere Handelsschule ermöglicht. Er hilft gern, doch hat sein Sohn immer noch keinen klaren beruflichen Weg eingeschlagen. Das belastet seinen Vater. Auch dass er noch nicht verheiratet ist, macht Levent traurig.
Mein größter Wunsch ist eine Enkelin zu haben. Ich möchte ihr die Haare kämmen und mit ihr raus gehen.
Die Hilfsbereitschaft hat sein Sohn von ihm. Levent Seyhan ist es wichtig, gute Beziehungen zu Freunden und Nachbarn zu haben. So erzählt er uns, dass er deutsche Nachbarn hat. Sie waren zu Beginn sehr verschlossen. Im Laufe der Zeit lernten sie sich kennen und mögen. So ist eine Freundschaft entstanden, die seit vielen Jahren hält.
Ein „Guten Tag“ kostet nichts.
Das ist Levents Devise. Und manchmal ist er erschüttert über den rücksichtslosen Umgang der Menschen miteinander.
Ich helfe einer älteren deutschen Frau. Sie sagte,wo gibt es heute solche Menschen noch? Sie hat einen Garten und kümmerte sich darum. Eines Tages kam ein Mann und machte ihre Blumen kaputt. Daraufhin schimpfte sie mit ihm. Er antwortete ihr:„Wann gehst du endlich ins Altersheim?!“
So etwas ärgert Levent.
Seine Familie lebt Dreiviertel des Jahres, in einer Wohnung in Köln. In den Urlauben fahren sie in die Türkei. Seit er im Ruhestand ist, bleiben sie 3 bis 4 Monate in Izmir. Er hat dort ein Haus, worum sich
während seiner Abwesenheit ein Nachbar kümmert.
Dieser sei in Ordnung sagt Levent und er muss ihm auch keine großen Summen Geld zahlen.
Wenn ich aus der Türkei nach Hause komme, dann freue ich mich schon in Österreich auf mein deutsches Zuhause. Mein Herz beginnt zu klopfen, denn ich weiß, dass es nicht mehr lange dauert, bis wir in Köln sind.
Sie sind gut integriert und die Familie Seyhan fühlt sich wohl in Deutschland.
Die Türkei bietet mir Sicherheit – wenn die Nazis nochmal kommen sollten, dann kann ich immer noch zurück. Ansonsten lebe ich gern hier.
Weitere Geschichten finden Sie hier: Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..."
Die Geschichten der Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..." sind außerdem in einer Broschüre erschienen.
Herausgeberin ist Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Köln e.V., Frau Ulli Volland-Dörmann, Rubensstr. 7-13, 50676 Köln
Layout: GNN-Verlag Köln
Die Broschüre finden Sie in zahlreichen Begegnungsorten in Mülheim ausgelegt. Oder Sie können sie direkt im IFS - Interkulturelles Forum für Senioren, in der Dünnwalder Str. 5, 51063 Köln-Mülheim bekommen.
Öffnungszeiten: Dienstag - Donnerstag: 14.00 - 16.00 Uhr