Dorothea trifft...Cindy Dillmann
INTERVIEW MIT CINDY DILLMANN
Cindy Dillmann lebt seit über 30 Jahren in Köln-Mülheim. Trotz ihrer Behinderung ist sie aktiv und voller Power. Ich habe mit der Lebenskünstlerin gesprochen :
Liebe Cindy,erzähle kurz etwas über Deinen Lebenslauf!
Ich bin in Wiesbaden geboren und habe dort zwei Ausbildungen gemacht : eine als Bürokauffrau und eine als Fachfrau für Logistik. Ich habe den LKW- Führerschein und den Staplerführerschein gemacht. Darauf bin ich stolz. Seit 1992 bin ich wegen meiner Behinderung erwerbsunfähig.
Wie erlebst Du Dein Leben mit Behinderung?
Ich merke, dass ich nicht alles machen kann, was die anderen machen. Dass ich z.B. nicht mal eben schnell hier oder dahin kommen kann, dass dies manchmal sehr aufwendig ist. Wir Rollstuhlfahrer haben sehr viele Hindernisse zu überwinden, alleine um irgendwohin zu kommen. Aber ich versuche trotzdem weitgehendst ein ausgefülltes Leben zu leben. Weil ich denke : nur weil ich nicht laufen kann oder Schmerzen habe, muss ich nicht dahinsiechen und jammern und mich bedauern lassen. Ich versuche immer noch das Positive aus dem Leben herauszuholen. Wichtig ist mir, dass ich mit Assistenz lebe, um ein selbstbestimmtes und nicht ein fremdbestimmtes Leben zu leben.
Was für Erfahrungen hast du mit Deiner Assistenz gemacht ?
Ich habe sehr viele positive Erfahrungen gemacht, aber das ist eine sehr persönliche Sache. Man ist den ganzen Tag zusammen und hängt aufeinander. Der Assistent kriegt das ganze Leben mit. Für mich ist es wichtig, dass die Chemie stimmt. Ich habe ein paar sehr treue Assistenten die ich schon sehr lange habe und mit denen ich gut klarkomme. Da muss ich nicht viel sagen. Sie wissen schon, wie es mir geht und was ich brauche. Ich habe natürlich auch weniger angenehme dazwischen. Da muss ich lernen, die früh genug auszutauschen, statt ganz lange darunter zu leiden. Es ist eine sehr enge Beziehung. Ich versuche, die Assistenz so gut es geht zu integrieren und nach deren Interessen zu gucken. Wenn ich merke, dass jemand eine Arbeit hat, die ihm Spaß macht, gebe ich sie ihm. Einer, die zum Beispiel gerne näht, gebe ich Nähaufgaben.
Du hast in Deinem Leben schon einige Projekte gemacht. Welche waren Dir besonders wichtig?
Ich bin bei der „Arbeiterfotografie“ und verfolge da ein Thema, das man fotografisch festhalten kann, um anderen Leuten mal eine andere Sichtweise zu geben. Ein ganz wichtiges Projekt war für mich das Lesben – Frühlingsfest, bei dem ich die Organisation übernommen habe. Die haben mich als Rollstuhlfahrerin mit meinen Ecken und Kanten aufgenommen. Es war eine schöne Zeit. Daraus haben sich auch Freundschaften entwickelt.
Ab und zu bin ich im Fernsehen und referiere zu einem Thema oder nehme an einer Talkrunde teil. Ich war auch schon öfter Pressesprecherin für die, die das nicht so gut können. Außerdem habe ich einen Film über mich gedreht : „Liebe und Behinderung“. Dieser Film ist in der Volkshochschule gezeigt worden. Damit kann ich Denkanstöße geben und das ist wichtig.
Wie siehst Du als Behinderte unsere Leistungsgesellschaft?
Ich möchte wegkommen von dieser Leistungsgesellschaft, die man ja verinnerlicht hat. Wenn ich schon nicht arbeiten gehe, weshalb mache ich mir dann selbst Druck! Das ist doch blöd. Der westliche Mensch ist dazu angelegt : du musst Leistung bringen, ohne Leistung bist du nichts. Du musst das und das machen, dann bist du ein guter Mensch. Wenn ich dann sehe : ich bin seit 1992 erwerbsunfähig. Bin ich jetzt kein guter Mensch? Ich denke schon, dass ich meinen Teil der Gesellschaft zurückgebe.
Kennst Du als Behinderte Ausgrenzung und Diskriminierung?
Ja, die kenne ich ganz gut. Ich bin schon mal bespuckt worden weil ich mit meinem Rollstuhl einen Aufzug benutzen wollte. Ich bin auch schon öfter angepöbelt worden, z.B. von Leuten auf dem Flohmarkt, was ich denn da zu suchen hätte. In der Bahn wird man manchmal schief angeguckt oder die Leute fluchen über einen. Wenn man in einen Laden geht, muss man da manchmal so herumarrangieren, weil es dermaßen eng ist, da macht das Einkaufen nicht mehr Spaß. Man wird schon diskriminiert, aber zum Teil unbewusst, weil die Leute nicht von A bis B denken. Da wird einfach so ein Spruch dahingeworfen. Es gibt Bundesländer, wo die Behinderten sogar verfolgt werden und massiv angegangen werden, aber hier in NRW geht es noch.
Hast Du auch positive Erfahrungen ?
Die Solidarität unter meinen Kollegen, die auch im Rollstuhl sitzen. Mit denen ich mich treffe und austausche. Man kann ganz anders mit ihnen sprechen, weil sie nicht so oberflächlich sind. Ich glaube, die Menschen, die ein Handicap haben, leben viel bewusster. Sie machen sich mehr Gedanken. Sie haben natürlich auch mehr Zeit zum Nachdenken. Anders als die Leute, die vor der Glotze vor sich hindümpeln und sich da verblöden lassen, schauen sie auch mal über den Tellerrand.
Würdest Du sagen, dass Behinderte spirituellere Menschen sind?
Nicht unbedingt, aber viele denken eben mehr nach über das Warum und Wieso.
Es gibt ja die Diskussion , ob eine Behinderung die Strafe für ein früheres Leben, also ein schlechtes Karma ist. Da denke ich manchmal drüber nach. Der Mensch entwickelt sich, sollte es zumindest tun. Früher wusste ich noch nicht, warum und wieso. Da bin ich nur arbeiten gegangen und habe mein Leben gelebt. Seit 10, 15 Jahren ist mein Leben viel bewusster geworden. Ich treffe eigene Entscheidungen und mache auch mal etwas, was MAN nicht macht. Jetzt, wo ich viel Zeit zum Nachdenken habe, lese ich viel und beschaffe mir Informationen. Ich bin ein Mensch, der ganz gerne hinter die Kulissen schaut. Ich möchte wissen, wie die Strukturen funktionieren und mir ein eigenes Bild machen und dann auch mal gemeinsame Aktionen machen. Ganz wichtig ist mir auch ein Austausch. Ich finde es schlimm, wenn ein Mensch nur so vor sich hinlebt: arbeitet, schläft und isst und das ist es dann gewesen. Immer vor dem Fernseher sitzen : da geht die Seele kaputt und das Gemüt. Das kann nicht der Lebensinhalt sein. So jemand bin ich nicht.
Es klingt so, als hättest Du Deine Bedingungen weitestgehend akzeptiert
Ja, was soll ich denn machen! Ich kann doch nicht auf den Knopf drücken und peng! ist es anders. Ich habe mich arrangiert, ja. Ich kriege ja auch Unterstützung, mittlerweile hole ich mir die nötigen Hilfen, wenn ich mal etwas machen will, was ich nicht kann. Was nützt es, wenn man jammert. Davon wird es nicht besser, eher schlimmer. Natürlich habe ich Schmerzen und die ziehen mich auch runter, aber sie sind nicht der Grundtenor. Wenn ich mich positiv motiviere, kann ich auch die Schmerzen anders aushalten .Durch meine vielen Interessen und meine Tiere finde ich das nicht so schlimm.
Was für Tiere hast Du ?
Ich habe einen eigenen Hund, die Amy. Außerdem habe ich während der Woche zwei Hunde von Freundinnen, die ich hüte. Dann habe ich noch zwei Katzen, drei Papageien und eine Echse.
Was bedeuten Dir die Tiere?
Meine Tiere bedeuten mir ganz viel, das ist meine Familie. Ich habe keine menschliche Familie, die sind alle tot. Wenn die Tiere Dich mögen, gestreichelt werden wollen : das ist etwas Schönes. Du kommst in die Bude und da ist Leben drin. Die Tiere sind für mich wichtig damit ich mobil bleibe. Ich gehe viel mit ihnen raus, manchmal macht es die Assistenz.
Die Tiere haben Dir in Krisen geholfen ?
Ja, klar. Immer wenn ich Schmerzen habe und die Tiere merken, dass Du schlecht drauf bist, dann kommen sie kuscheln. Die kriegen genau mit, wie du drauf bist. Sogar die Papageien kriegen das mit, die sind dann ganz brav und bauen keine Scheiße.
Die Tiere machen auch viel Arbeit?
Klar, du kriegst heute nichts ohne Arbeit. Sei es in Freundschaften zwischen Menschen oder auch von Mensch zu Tier. Du musst viel arbeiten und bearbeiten, damit sie halten. Aber der Nutzen wiegt die Arbeit auf.
Was bedeuten Dir Bücher ?
Bücher sind mein Lebenselixier. Wenn ich nicht lesen kann, geht es mir nicht gut. Ich habe schon als Kind viel gelesen. Dadurch dass ich eine schlechte Kindheit hatte, habe ich mich immer in die Bücher geflüchtet. So ist es auch jetzt, als Erwachsene. Manchmal schaffe ich ein Buch am Tag.
Was liest Du ?
Ich lese gerne historische Bücher wo ein Thema hinter ist, das mich interessiert.Ich lese auch gerne Krimis, wo es nicht nur um Gewalt , sondern auch um einen Hintergrund geht. Am liebsten mag ich die schwedischen Autoren : Henry Mankell , Jo Nesbo oder Hakan Nesser.
Was gibt es für Dinge, die Dir den Alltag verschönern?
Das kann sein, dass, wenn schönes Wetter ist, ich einfach mit den Hunden und der Assistenz rausfahre und wir am Rhein sitzen und das Wasser und einfach das Dasein geniessen.
Was mir wichtig ist, ist mein Tee, den ich aus dem Samowar trinke. Das ist ein besonderes Lebensgefühl. Und ich höre gerne Indianermusik. Was ich erst kürzlich gelernt habe :die eigene Bude gemütlich zu machen. Ich habe mir eine Ecke mit besonderem Licht und Atmosphäre geschaffen: meinen Altar. Der ist ein besonderer Blickpunkt. Da stehen Kerzen drauf, Räucherstäbchen und ein Buddha. Das ist- wenn er aufgeräumt ist- ein schönes Bild zum Schauen. Das strahlt unheimliche Ruhe aus .Ich merke, dass ich daraus immer wieder Kraft schöpfen kann. Mir ist es wichtig, dass ich einen Ort habe, der das Zentrum ist.
Du bist spirituell ohne einer Kirche anzugehören?
Das hat nichts mit Kirche zu tun. Das hat damit zu tun, dass ich Teil des Universums bin.
Welche Träume und Projekte hast Du?
Ich hatte mal den großen Traum, eine Online- Zeitung zu machen. Damit habe ich auch schon angefangen. Leider ist der Server gecrasht und ich habe bisher noch nicht den Anlauf bekommen, ihn wiederbeleben zu lassen. Ich möchte weiterhin in der „Arbeiterfotografie" aktiv sein. Nächstes Jahr möchte ich versuchen, im Sommer viel rauszugehen, denn Licht ist eine gute Sache. Ich möchte wieder positiv eingestellt sein und nicht alles so verbissen sehen, denn man nimmt sich selbst dieLebensqualität. Vor allem möchte ich lernen, mit meinen Grenzen umzugehen.
Was meinst Du damit ?
Jeder hat so seine Macke. Bei mir ist es eben, dass ich meine Grenzen permanent überschreite. Ich will immer mehr als ich kann. Das gibt einen Zwiespalt in einem.Aber trotzdem ist es besser, als sich hängen zu lassen und gar nichts zu machen.
Wenn du noch mal auf die Welt kämst, was würdest du gerne erleben ?
Ich würde mir wünschen ,dass eine andere Atmosphäre auf der Erde herrscht.
Dass die Menschen darüber nachdenken würden wie man das Leben angenehmer für ALLE machen kann, nämlich ohne Ellenbogen und Materialismus nach dem Motto: Ich brauche einen Mercedes, weil der Nachbar einen Mercedes hat.
Man muss den Sinn des Lebens finden und ich glaube, er liegt darin, sich zu entwickeln. Wenn man eine Rechenaufgabe nicht kann, übt man solange bis man sie kann. Je mehr man übt, desto besser kann man sie. Die Seele wachsen zu lassen, ist wichtig. Die wird manchmal übersehen, aber die Seele muss man pflegen.
Es wäre schön, in einer Welt zu leben, wo sich nicht so viele Menschen profilieren wollen und dafür Kriege führen. Vielleicht kommt das ja eines Tages .Ich glaube, dass irgendwann ein kosmisches Umdenken angesagt ist. Dass wir vor einer Wende stehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dorothea Weisel