Als ich nach Deutschland kam...Paolo Biondo
Gastarbeiter aus der Türkei und Italien erzählen, wie sie in den 60-iger Jahren nach Deutschland kamen und eine Deutsche Seniorin berichtet, wie sie die Zuwanderung erlebt hat. In der neunten Folge dieser Artikelserie berichtet Paolo Biondo über seine Erlebnisse:
Paolo Biondo
Geboren am: 2.4.1945
Geburtsort: Ravanusa - Agrigento – Italien
In Deutschland seit 1959
Grund der Einwanderung: Arbeitslosigkeit in Italien
Beruflicher Werdegang: Landarbeiter, Straßenbau
Urlaubsort: Sizilien – Italien
Paolo Biondo schaut durch seine dicken Brillengläser. Seine Augen sind kaum zu erkennen. Er wirkt wie ein Junge, der alt geworden ist. Seine Emotionen werden während des Erzählens nicht sichtbar. Paolo Biondo erzählt, wie er nach Deutschland gekommen ist und wie er die ersten Jahre überlebt hat.
Guten Tag, ich heiße Biondo, Paolo. Ich war vierzehn Jahre alt, als ich nach Deutschland gekommen bin. Ich hatte keine Dokumente und keinen Pass. Zuerst habe ich im Saarland gearbeitet, später bin ich nach Köln gekommen.
1959 in der Nachkriegszeit herrschte in Italien eine große Krise. Es gab nur Bauern und keine großen Betriebe. Der sizilianische Junge fand keine Arbeit. Also machte er sich auf den Weg nach Deutschland, um Arbeit zu suchen. Komplett auf sich allein gestellt, versuchte er die Grenze zu überwinden.
Ich bin mit fünf oder sechs Kollegen zusammen abgefahren von Italien nach Deutschland.Beim Zoll haben wir Probleme bekommen. Der Polizei hatte ein Kollege Geld gegeben.Doch vom Zoll sind wir zurückgeschickt worden.
Der erste Anlauf, nach Deutschland zu kommen, schlug fehl. Paolo strandete in der Provinz Mailand. Völlig hoffnungslos überlegte er, was er tun sollte. Ich bin nicht ganz nach Hause zurück. Mailand war
hart. Ich habe überlegt und habe Papiere fertig gemacht. Ich sagte mir, ich will wieder weg, nach Deutschland.
Er probierte es ein zweites Mal. Wieder stand Paolo am Zoll. Er sah einen kleinen Wald, der an der Zollstelle vorbeiführte. Es war ein Friedhof mit einem kleinen Weg.
Ich steckte Geld in den Automat am Zoll und tat mein Gepäck hinein.Dann schaute ich,wo kann ich vorbei? Daneben war die Straße und die Polizei. Sie sagten, ich kann euch nicht durchlassen.
Also sind Paolo und drei weitere Männer in den Wald gegangen. Sie sind herumgelaufen und wussten nicht wohin. Sie durchquerten Wasser. Paolo konnte die Polizisten sehen, diese ihn aber nicht.
Sie liefen und liefen, über Berge und durch Wälder. Die Männer waren viele Tage unterwegs, um durch die Schweiz nach Deutschland zu kommen. Schließlich erreichten sie in eine deutsche Stadt.
Es war Forbach, eine kleine Stadt im Saarland.
Und dann stand ich dort auf einem Platz. Ich hatte kein Geld für irgendetwas und auch kein Essen.Nichts.Aber ich kannte einen Bekannten meines Schwagers. Dort bin ich zwei, drei Tage geblieben.
Hier bekam Paolo ein Obdach. Der Mann hatte keine offizielle Arbeit und Paolo hatte keine Papiere. Er war ja erst vierzehn Jahre alt. Doch der Mann hat mit seinem Chef gesprochen.
Er sagte, Meister ich habe hier noch fünf Arbeiter. Dieser antwortete, Moment,Moment ... alle Italiener? Ja alle Italiener. Ja gut.
Sie haben Kartoffeln geerntet. Mit Kiste und Korb. Das hat zum ersten Mal, seit Paolo Biondo aus Sizilien weg ist, Geld gegeben. Sie arbeiteten 60 Stunden und bekamen 1,20 Franc pro Stunde.
Ich überlegte, was kaufe ich davon? Wir haben zusammen gegessen, in einem großen Bauernhof.Wir haben Suppen, Hähnchen, Kartoffeln und Kotelett gegessen. DAS hat gut geschmeckt.Vorher habe ich einen Liter Bier getrunken, dort gab es Liter-Bier.
Zwanzig Tage haben sie auf dem Feld gearbeitet. Dann bot ihnen der Mann an, sich um seine Schafe und Rinder zu kümmern. Sie waren im Saarland, also gab es gutes Essen. Geschlafen haben die italienischen Arbeiter auf dem Bauernhof.
Paolo hat sich in der Zwischenzeit einen Pass vom italienischen Konsulat besorgt. Damit konnte er sich eine richtige Arbeit suchen.
Langsam, langsam kam der junge Teenager in Deutschland an.
Ich habe in einer kleinen Firma Kanalarbeit gemacht. Hier in Deutschland zu dieser Zeit, gab es viel Arbeit. Man fragte nicht und man musste keine 18 Jahre alt sein.
Tatsächlich war es damals in Deutschland normal, dass Jugendliche, im Alter von vierzehn/fünfzehn Jahren, als Gesellen zu arbeiten begannen. Paolo hat drei Jahre lang Laufbursche gemacht.
Ich habe mir aufgeschrieben,was gebraucht wurde und habe eingekauft und besorgt.
Mitte der 60-iger Jahre ging Paolo Biondo schließlich nach Köln. Er hat auch hier auf der Baustelle gearbeitet. Er lernte eine Sizilianerin kennen und heiratete sie 1967. Mit ihr bekam er drei Kinder, die
heute selbst Kinder haben. In Köln spielte Paolo Biondo in einer Fußballmannschaft.
Er baute sich ein Leben auf und blieb hier.
Heute kümmert sich Paolo um seine Frau. Was er in jungen Jahren gemacht hat, ist so erschütternd, dass es schwer fällt, dies nachzuvollziehen. Trotzdem ist Paolo ein lieber Kerl und zeigt sich lachend
auf Fotos. Man möchte ihm etwas Gutes tun. Die Frage, was solch ein großer Schritt als Jugendlicher mit einem Menschen macht, bleibt sein Geheimnis.
Paolo Biondo kommt nicht dazu, seine weiteren Erlebnisse zu berichten. Immer für seine Familie da, bleibt er den weiteren Sitzungen der Erzählwerkstatt fern. Doch alle Beteiligten sind in Gedanken
bei ihm und nehmen Anteil an seinem Schicksal.
Weitere Geschichten finden Sie hier: Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..."
Die Geschichten der Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..." sind außerdem in einer Broschüre erschienen.
Herausgeberin ist Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Köln e.V., Frau Ulli Volland-Dörmann, Rubensstr. 7-13, 50676 Köln
Layout: GNN-Verlag Köln
Die Broschüre finden Sie in zahlreichen Begegnungsorten in Mülheim ausgelegt. Oder Sie können sie direkt im IFS - Interkulturelles Forum für Senioren, in der Dünnwalder Str. 5, 51063 Köln-Mülheim bekommen.
Öffnungszeiten: Dienstag - Donnerstag: 14.00 - 16.00 Uhr