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Als ich nach Deutschland kam...Gertrud Erkens

Gastarbeiter aus der Türkei und Italien erzählen, wie sie in den 60-iger Jahren nach Deutschland kamen und eine Deutsche Seniorin berichtet, wie sie die Zuwanderung erlebt hat. In der zehnten Folge dieser Artikelserie berichtet Gertrud Erkens über ihre Erlebnisse:

Gertrud Erkens

gertrud erkensGeboren am: 20.3.1940
Geburtsort: Köln
In Deutschland seit Geburt
Auslandsaufenthalte: 1961 – 63 Vadstena (Schweden)
Beruflicher Werdegang: Gärtnermeisterin, Verkäuferin
Urlaubsort: Vadstena – Schweden

Gertrud Erkens, die den meisten im Veedel unter ihrem Spitznamen Susi bekannt ist, ist ein Mülheimer Original. Mitten im 2. Weltkrieg geboren, hat sie die Geschehnisse in Mülheim und Köln miterlebt. Als
die Gastarbeiter kamen, war Gertud eine junge Frau. Mit ihrer ihr innewohnenden Offenheit und ihrem unverwechselbaren Humor erzählt sie uns, wie sie diese Zeit erlebt hat.

Guten Tag, mein Name ist Gertrud Erkens. Mülheim ist meine Heimatstadt. Ich bin hier geboren und, außer dass ich 3 Jahre in Schweden war, nie aus Mülheim rausgekommen. Ich habe immer auf der Buchheimer Straße gewohnt. Da bin ich geboren und da werde ich auch sterben.

Die Zeit, als die Gastarbeiter kamen, beschreibt Gertrud als spannend.

Das war für uns ein Abenteuer. Wir hatten noch nie einen Italiener gesehen, einen Griechen, einen Spanier. Als die Türken kamen,war das für uns, als kämen sie aus einer anderen Welt. Die kamen von einem anderen Stern.

Völlig überrascht stellt die junge Frau im Atlas fest, dass die Türkei gar nicht so weit weg von Deutschland ist. Oft ging sie damals an den Hauptbahnhof. Sie stellte sich an den Kölner Dom und hörte dem
Sprachengemisch zu. Sie versuchte die unterschiedlichen Klänge zu identifizieren.

…dann kamen die Türken mit den vielen Üs. Ich fragte mich, können die sich überhaupt verstehen untereinander?

erzählt sie lachend. Von den italienischen Einwanderern hat Gertud die Arbeiter der AWB in Erinnerung. Damals hieß es noch Fuhrpark. Wenn sie draußen arbeiteten, sangen viele von ihnen italienische Lieder. Das gefiel ihr.

Die Türken waren bei Ford. Sie konnte man gut an ihrem Schnäuzer erkennen. Außerdem war ihre Hautfarbe etwas dunkler. Italiener hat Gertrud etwas schmächtiger als Türken wahr genommen.

Die Türken fand ich immer Klasse. Ein bisschen Türkisch kann ich auch. Nicht viel, aber Guten Tag und ich kann bis 6 zählen.

Gertrud Erkens ist viel zur Keupstraße gegangen. Die alten Häuser von Felten & Guilleaume (F&G) wurden umgebaut und viele türkische Gastarbeiterfamilien sind eingezogen.
Gertrud hat sich dort wohlgefühlt und unterstreicht den Unterschied der türkischen Verkäufer/Innen zu den Deutschen.

Die Bäckerei auf der rechten Seite ist ja uralt. Das Gebäck war wie… ich kann das gar nicht schildern. Vor allem durfte man probieren! Wenn man mit denVerkäufern sprach, die waren so nett und freundlich. Ich dachte mir,warum können die in unseren Geschäften nicht so sein? Das war außergewöhnlich.
Den deutschen Verkäuferinnen fällt es schwer, nett und freundlich zu sein. Die vergessen immer, dass man viel mehr kauft,wenn jemand nett ist. Aus lauter Freude. Da fühlt man sich so richtig zu Hause.

Sie kann es gut vergleichen. Eigentlich ist sie Gärtnermeisterin, doch die letzten 13 Jahre ihres Berufslebens wollte Gertrud im Warmen arbeiten. So war sie als Verkäuferin bei Urban Textilien tätig.
Ihre besten Kundinnen seien die türkischen gewesen. Und von ihnen hat Gertrud auch zählen gelernt.

Wenn sie ein Fest hatten, dann brachten sie mir Essen zum Probieren mit. Ich bin praktisch mit Türken groß geworden und alt geworden.gertrud erkens 1963

Gertrud hat viele Kontakte zu Türken, durch ihre Ziehtochter, ihre Arbeit und ihr Lebensumfeld.

Ich habe die Türken immer beneidet .Die Familie hält zusammen und es gibt noch Großfamilien. Ich dachte mir oft, och das möchtest du auch haben. Dann kannte ich eine türkische Familie sehr gut. Und die Frau kam eines Tages und sagte, ich lass mich scheiden. Ich sagte, was tust du? Da bin ich vom Glauben abgekommen.
„Nein ich lassmich scheiden, ich habe keine Lust mehr“. Ich dachte: Ach, geht das bei denen jetzt auch so los wie bei uns? Diese Scheiderei und damit bricht die Familie auseinander. Das kam bei den anderen ja auch. Das ist schade.

Während eines Krankenhausaufenthalts, als junge Frau, hat Gertrud eine Facette des türkischen Familienlebens mitbekommen. Sie lag auf einem Zimmer mit einem türkischen Mädchen. Gertrud half ihr,
wenn sie sich nicht selber helfen konnte. Und eines Sonntags kam die Familie zu Besuch. Gertrud traute ihren Augen kaum. Es kamen eins, zwei, drei… neunzehn Personen, um das Mädchen zu besuchen.
Die ganze Familie. Die Mutter bedankte sich sehr herzlich bei Gertrud, weil sie der Kleinen geholfen hatte.

Die Tür geht auf und es kamen immermehr Leute und hat gar nicht mehr aufgehört .Ich fand das schön, dass die sich so um das Kind gekümmert haben. Mir wäre das zwar zu viel gewesen, aber ich dachte, es ist doch schön, dass sich die Familie noch Sorgen macht. Die werden nie allein sein.

Sie hat viele Anekdoten erlebt. Durch ihre offene und neugierige Art, ist Gertrud Erkens in so manches kleine Abenteuer verwickelt worden. Einmal kam sie als junge Frau in eine türkische Teestube.

Ich bin durch die Keupstraße gegangen und hatte wahnsinnigen Durst und musste auf die Toilette. Ja, denk ich, da ist ja ein Restaurant, da kannst du rein gehen.

Sie hat sich an der Theke etwas zu trinken bestellt. Nachdem Gertrud von der Toilette kam, setzte sie sich, rauchte in Ruhe eine Zigarette und trank ihr Getränk. Sie hat bezahlt und ist gegangen.

Ich habe mir gedacht ,warum gucken die denn alle so. Ich dachte, ach is ja komisch. Na ja sind die Männer unter sich. Dann habe ich das kurz danach jemandem erzählt. Der sagte, bist du denn wahnsinnig, da darfst du als Frau doch gar nicht rein. Du hast das ganze Lokal entehrt. Ich sagte, wieso das denn, wieso darf ich denn da nicht rein? Ja du bist ‘ne Frau! Das war 1973/74. Das
war noch ganz neu da.

Erst dann hat sie sich damit auseinander gesetzt und verstand, dass die Männer in der Teestube sitzen und Karten spielen und palavern. Die Frauen treffen sich zu Hause und palavern da zusammen.

Es ist Gertruds Art die Gepflogenheiten anderer zu akzeptieren. Außerdem hat sie selbst von 1961 bis 1963 in Schweden gelebt. Danach pendelte sie bis 1970 zwischen Schweden und Deutschland. Durch
diese Erfahrung kann sie sich in zugewanderte Menschen hinein versetzen.

Wenn du auf den Markt in der Berliner Straße gehst, siehst du immer einen Pulk türkischer Frauen. Das stört mich nicht. Andere stört das, aber ich gehe darum herum.

Für Gertrud war das selbstverständlich, dass die Fremden anders sind. Jedes Volk hat eigene Gewohnheiten und Sitten. Sie versteht, dass die Menschen sich unsicher fühlen und deshalb oft in Gemeinschaft nach draußen gehen.

Da Gertrud selbst „Nippes“ mag, mag sie auch die Wohnungen von türkischen Freunden.

Die Wohnungen sind schon anders als bei uns. Überall liegen kleine Deckchen und künstliche Blumen. Überall Nippes. Ich finde das schön, es macht nur viel Arbeit.

Gertrud erzählt auch, dass sie bei ihren türkischen Freunden immer willkommen ist. Sie fragen nach, wenn sie sich lange nicht gesehen haben. Auch kann sie unangemeldet kommen. Und die türkische
Küche gefällt ihr sehr.

Das dollste war, mein Mann war ausländerfeindlich. Und seine besten Freunde waren Türken und Italiener. Er war jeden Tag mit denen zusammen. Er hat bei der KVB gearbeitet. Manchmal mussten sie nachts raus und arbeiten. Dann sagte er zu mir, machste mir das und das zu essen für die Arbeit? Und der Ahmet kommt auch mit. Dann hab ich für Ahmet auch noch was zu essen gemacht.

Gertruds Offenheit steht ihr buchstäblich in den Augen geschrieben. Mit neugierigen Blicken nimmt sie ihre Umgebung wahr. Sie ist nicht die deutsche Durchschnittsrentnerin.

Ich habe zu Ausländern bald mehr Kontakt als zu meinen Landsleuten. Mit meiner Generation komme ich überhaupt nicht zurecht. Weil sie innerlich so voller Hass sind. Von früher noch. Die können die Vergangenheit nicht ablegen. Mit Jüngeren komme ich gut zurecht und mit den Türken. Weil sie den Hass nicht so haben.

Trotz des Krieges haben Gertruds Eltern nie voller Hass gesprochen. Im Elternhaus wurde sachlich über Probleme geredet. Somit war sie für alles offen gewesen. Ihre Naivität hat sie sich bis heute erhalten. Wenn es etwas Neues gibt, staunt sie, als sähe sie es durch Kinderaugen. Obwohl sie als Kind schlimme Erlebnisse hatte, die sie nie vergessen wird. Die Kriegs- und Nachkriegszeiten haben Gertrud geprägt.
Zusätzlich hat sie in jungen Jahren schwere Krankheiten durchlebt und damit lange Krankenhausaufenthalte über sich ergehen lassen müssen. Sieht man sie, mag man es ihr nicht glauben.

Je älter ich wurde, umso gesünder wurde ich. Durch Hass macht man sich das Leben selber schwer. Dafür ist mir das Leben zu kurz. DieWelt ist doch so schön.

So empfindet Gertrud Erkens die Migration als eine Bereicherung für Deutschland.

Beim Deutschen geht nichts ohne Gesetz und wir entscheiden nicht so frei.Von unserer Mentalität her sind wir ja eher ernst veranlagt und können nicht so einfach aus uns herausgehen. Es ist gut, dass Italiener und Türken hierher kamen und eine südländische Mentalität mitgebracht haben. Das ist eine Bereicherung, so dass der Deutsche mal etwas lockerer wird.

als ich nach deutschlandWeitere Geschichten finden Sie hier: Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..."
 
Die Geschichten der Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..." sind außerdem in einer Broschüre erschienen.
Herausgeberin ist Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Köln e.V., Frau Ulli Volland-Dörmann, Rubensstr. 7-13, 50676 Köln
Layout: GNN-Verlag Köln
 
Die Broschüre finden Sie in zahlreichen Begegnungsorten in Mülheim ausgelegt. Oder Sie können sie direkt im IFS - Interkulturelles Forum für Senioren, in der Dünnwalder Str. 5, 51063 Köln-Mülheim bekommen.
Öffnungszeiten: Dienstag - Donnerstag: 14.00 - 16.00 Uhr

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