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Interview mit Senol Arslan

Einer junger Familienvater, der viele Jahre Kinder- und Jugendtheater gemacht hat, und u.a. im Fernsehen zu sehen war, hat einsenol_arslan_portraiten neuen Weg eingeschlagen. Als Deeskalationstrainer reist Senol Arslan durch die Republik und macht vorwiegend an Schulen Antigewalt- und Coolnesstrainings. Mit einer feinfühligen Ernsthaftigkeit erklärt er mir, die Inhalte seiner Arbeit und deren Sinn. Er steht hinter dem was er tut und das spüren auch die Teens. Durch seine schauspielerische Tätigkeit hat er einen immensen Erfahrungsschatz und er kennt sich mit der Problematik aus. Das Rezept erscheint so einfach, doch ist es harte Arbeit dieses den Jugendlichen und den für sie Verantwortlichen begreiflich zu machen. Durch Konfrontation werden Grenzen erfahrbar, denn nur so können sie akzeptiert werden. Wir haben nachgefragt und viel über ihn und über Grenzen erfahren.

Hallo lieber Senol. Durch euren Hund bist du nach Mülheim gekommen. Wie ist das zu verstehen?
Ja, das stimmt. Das war wohl Schicksal. Wir hätten jetzt genauso gut in der Südstadt wohnen können. Meine Freundin und ich suchten eine schöne, preisgünstige Wohnung, da ich noch studierte und sie in der Ausbildung war. Die damaligen Vermieter verliebten sich sofort in das Tier und erklärten sich sogar bereit, gern mal auf ihn aufzupassen oder mit ihm spazieren zu gehen. Sie fanden uns glaub ich sehr sympathisch. Wir haben hier wirklich nette Nachbarn, die wir u.a. dank unseres Hundes kennen lernen durften. Sie hat ein freundliches Wesen und zaubert immer ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen.

Du bist Kinder- und Jugendschauspieler und hast lange Zeit für Theater und Fernsehen gearbeitet und machst dies nun nebenberuflich. Was motiviert dich zur Schauspielerei?
Ich möchte die Menschen um mich herum glücklich sehen. Daher spiele ich von jeher lieber Komödien und Sketche. Es bereitet mir viel Freude, andere zum Lachen zu bringen. Bei Kindern ist es ja so. Du kommst auf die Bühne, stolperst oder machst eine bestimmte Geste und sie lachen sich kaputt. Ihre Augen sind gespannt und offen und das gibt mir sehr viel Energie. Bei Jugendlichen ist es etwas anders. Die muss man gewinnen, das kostet mich persönlich viel Kraft. Doch ist es auch befriedigend, wenn das Stück, schlussendlich doch angekommen ist.

Seit einiger Zeit hast du beruflich das Fach gewechselt und bist selbstständig als Deeskalationstrainer in ganz Deutschland an Schulen unterwegs. Warum?
Weil diese Arbeit wichtig ist. Wenn ich in die Schulen gehe und die Kids erlebe, dann wird mir klar, wie hilflos die Einrichtungen und die Schüler selbst sind. Ich sehe es als eine Fortführung meiner schauspielerischen Tätigkeit an. Das Antigewalt und Coolnesstraining ist eigentlich nichts neues. Was neu ist, ist diese konfrontative Pädagogik. Das heißt wir stellen mit den Schülern zusammen Regeln auf und konfrontieren sie, wenn sie dagegen verstoßen. Dann nehme ich das aber nicht persönlich und trage das nicht in die Gruppe. Es geht darum Grenzen abzustecken, weil dies wichtig für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft und überhaupt für das Leben ist. Zudem machen wir Rollenspiele, wo ich auch von meiner schauspielerischen Erfahrung profitiere.

Warum sind Regeln wichtig für das gesamte Zusammenleben?
Ich bin der Überzeugung, dass nur so Menschen zusammen leben können. Wenn ich klar sage, was ich will und was nicht, dann zeige ich meine Persönlichkeit. Nur so können mich andere kennen lernen und respektieren. Wie oft sagen wir Treffen oder Aktionen zu und wollen das eigentlich gar nicht. Weil wir uns nicht trauen ehrlich zu sein. Ich denke, das ist nicht gut, denn wenn mich niemand mit meiner Persönlichkeit kennen lernt, dann weiß der andere nicht, wie er mich zu nehmen hat. Das schafft Unsicherheit und Unmut macht sich breit.

Wir leben in Deutschland. Hier gibt es Unmengen an Regeln. Jede Schule hat ihre Schulordnung. Trotzdem herrscht oft Chaos. Was läuft da deiner Meinung nach schief?
Genau, es sind zu viele Regeln. Da blicken wir Erwachsenen schon nicht mehr durch, wie sollen es dann die Kids tun. Am besten kann ich das an einem Beispiel erklären. Wir haben eine Lehrerfortbildung gemacht, um sie auf unsere Arbeit vorzubereiten. Wir stellten die Frage: „Gibt es Regeln an der Schule?“ Alle antworteten: „Ja natürlich gibt es Regeln.“ Auf die Fragen hin, wie viele es denn seien, zertreuten sich die Antworten bereits. „Ein halbes Dutzend. Ein paar hundert. Es gibt Hauptregeln und Unterregeln.“ Wir bohrten weiter: „Welche Regeln gibt es denn?“ Da wurde es stiller: Zwei Lehrer konnten zwei, drei, vier Regeln nennen. Das wars. Also was bringt es, wenn die Lehrer ihre eigenen Regeln nicht kennen? Dann macht es jeder wie er will. Das ist zu viel für die Schüler, das überfordert sie. Die müssen sich immer wieder umstellen.

Dann funktioniert es besser, wenn es wenige klare Regeln gibt, die jeder versteht und jeder kennt? Wie ist das denn bei euren Trainings?
Ja das ist unsere Erfahrung. Wir haben drei feste Regeln und erarbeiten diese mit den Schülern. Das heißt wir stellen sie mit ihrem Einverständnis auf. Jeder Verstoß dagegen, hat Konsequenzen.
1.Stopp - Jedes Handeln wird unterbrochen, wenn jemand Stop sagt. Dies geschieht, wenn jemand an seine Grenzen gekommen ist und diese nicht überschreiten möchte. Stop sollte auch jemand sagen, wenn er sieht, dass ein anderer an seine Grenzen gekommen ist, aber selber nicht Stopp sagt.
2.Respekt – Wir respektieren einander, also wird niemand verletzt, ausgelacht oder beleidigt.
3.Zuhören – Wir hören einander zu und unterbrechen nicht, oder beschäftigen uns mit etwas anderem, wenn jemand spricht.

Sind diese Regeln aufgestellt, was folgt dann? Wie läuft das Training ab?
Ein weiterer Trainer und ich organisieren im Vorfeld, die Zeiten und alles was nötig ist. Das Coolnesstraining dauert zwanzig Stunden und wir kommen vier Wochen lang, immer am gleichen Tag und arbeiten fünf Stunden. Es ist wichtig, dass wir in eine geschlossene Klasse kommen und auch der/die LehrerIn muss mit dabei sein. Da er/sie zur Gemeinschaft gehört und dies dann weiter führen sollte.
Nach einer Vorstellungsrunde, in der wir schon einmal einen groben Einblick in die Gemeinschaft, deren Charaktere und deren Struktur bekommen, folgt das Aufstellen der Regeln. Wir machen danach ein sogenanntes „Warm up“, um uns ein bisschen zu lockern und aufeinander einzustimmen. Im Hauptteil machen wir viele körperbetonte Übungen. Wie Kampfspiele, Gruppenübungen, um die Gruppengemeinschaft zu stärken. Wir machen Rollenspiele, zum Beispiel Täter-Opfer-Übungen, hier wird Empathiearbeit geleistet und vieles mehr. Zum Schluss kommt noch eine Entspannungsrunde mit einer Phantasiereise, Igelballmassage u.ä.. Diese Massage wird zu Beginn meist von den Jungs als blöd abgetan. Doch im Nachhinein ist erstaunlich, wie viele es als angenehm empfunden haben.

Ein entscheidender Bestandteil ist, dass ihr nach jeder Übung mit den Kids redet. Auch zu Beginn und am Ende eines Trainingstages reflektiert ihr. Was ist eure Erfahrung bei diesen Gesprächen?
Das ist sehr vielfältig. Es ist so wichtig miteinander zu reden, denn sonst wird das, was wir machen, nicht ernst genommen. Es ist dann nur ein Spiel und es wird nicht verstanden, was da gerade passiert ist und wie es sich anfühlt. Wir entlassen die Schüler mit der Frage: „Was hat euch gefallen, heute?“, um dem Ganzen einen positiven Abschluss zu geben. Am nächsten Trainingstag fragen wir: „Was hat euch beim letzten mal nicht gefallen.“ I.d.R. sagen sie, dass zu viel zwischendurch geredet wurde. Das heißt, dass wir zu oft unterbrechen mussten, weil eine Regel nicht befolgt wurde, und wir haben sie konfrontiert. Also verdeutlichen wir, wir können viel machen und Spaß haben, wenn ihr euch an die Regeln haltet. Was können wir tun, damit es besser wird?“ Antwort: „Wir halten uns an die Regeln.“ Somit wird deutlich, dass die Jugendlichen die Grenzen Stück für Stück akzeptieren, denn dann können wir gemeinsam etwas erreichen.

Eure Arbeit ist getan. Ihr verlasst die Klasse. Was verändert sich? Was bleibt am Ende von dem, was ihr tut?
Während des Trainings klappt die Disziplin von Mal zu Mal besser. Das ist eine Erfahrung, die die Klasse und Lehrer motivieren. Wir können aus einem Schläger, keinen Pazifisten machen. Aber wir können Denkanstöße geben, durch Erfahrungen die am eigenen Leib gespürt werden. Es ist ein Prozess, den wir in Gang setzen, der aber durch die Lehrer und im besten Fall die gesamte Schule, weiter geführt werden muss, damit eine langfristige und tiefgreifende Verbesserung eintritt.

Das ist eine bedeutungsvolle und anstrengende Arbeit. Du selbst hast vor einigen Jahren angefangen dein Leben sinnvoller zu gestalten. Was ist passiert?
Ich war einige Zeit Barkeeper und machte sozusagen die Nacht zum Tag. Ich war im Nachtleben zu Hause, mit allem was dazu gehört. Vor neun Jahren, es war nachts und ich war in der U-Bahn am Friesenplatz. Da habe ich in einer Partylaune, einem Obdachlosen einen kleinen Hund abgekauft. Für 12,50 DM. Er war damals 9 Wochen alt. Das war wie ein Sechser im Lotto für mich. Ich hatte plötzlich Verantwortung für jemand anderes, als nur für mich. Dadurch bin ich ruhiger und solider geworden, denn ich konnte nicht mehr unkontrolliert in den Tag hineinleben. Ich hatte jemanden zu Hause, der auf mich wartet und mich braucht. Dadurch erst habe ich auch wieder mit der Schauspielerei angefangen. Mittlerweile habe ich eine tolle Familie und mein Leben ist wertvoller geworden. Dieses Tier ist etwas ganz besonderes für mich. Ich erfreue mich jeden Tag an ihr.

Du kennst das Leben. Wenn du die Macht hättest, die Welt nach deinen Vorstellungen zu gestalten, wie sähe sie dann aus?
Ich möchte einfach allen Menschen sagen: „Leute seid freundlich zueinander!“ Geht nett miteinander um, und meckert nicht immer an den anderen herum. Jeder sollte mal einen Tag lang rausgehen und sämtliche Menschen, die ihm/ihr begegnen anlächeln. Ich mache das zwischendurch immer mal wieder. Das ist eine tolle Erfahrung. Wenn es mir nicht gut geht, dann sieht man mir das nicht an. Ich fange dann einfach ein Lächeln ein und schon freue ich mich darüber. Auch wäre es schön die Welt aus Kinderaugen sehen zu können. Sie sind so empfänglich für Freude und können das noch vollkommen aufnehmen.

Ja das wäre schön. Was sind deine Wünsche für die Zukunft?
Ich habe keine konkreten Pläne für mich selber. Ich habe eine Familie und ich hoffe, dass wir freundlich miteinander umgehen. Auch wenn die Kinder in die Pubertät kommen und wir Eltern, in ihren Augen blöd werden. Ich wünsche mir, dass das trotzdem glimpflich abläuft. Ich möchte dass die Menschen glücklich sind. Also möchte ich glücklich sein, um sie glücklich zu machen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Weiter Informationen finden Sie im Internet unter: www.senolarslan.de
E-Mail: senol.arslan@web.de

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