Die Enden der Welt
Was für ein Abend, an diesem Donnerstag, den 14. Juni, – diesmal mit Roger Willemsen, der seine Zuhörer auf Reisen bis an „die Enden der Welt“ führte. Die 5. Lesung von insgesamt 25, die im Rahmen des 12. Literaturfestivals der Kölner Privatinitiative „Kunstsalon“ stattgefunden hatte, fand in einem lang anhaltenden Applaus für Roger Willemsen ihr Ende. Der Abend aber ging noch weiter. Das nämlich gehört zu allen Veranstaltungen „Literatur in den Häusern der Stadt" dazu.
Das Ganze fand diesmal in den Räumen eines Gastgebers statt, der sich auszeichnet durch die Förderung von Wohltätigkeits- und kulturellen Projekten: Michael Horbach hatte dieses Mal in seine Räume eingeladen.
Die Zuhörer kamen hier nicht nur in den Genuss der Reise-Erlebnisse eines großen Erzähl-Künstlers, sondern sie konnten gleichzeitig auch die Foto-Ausstellung des Gastgebers mit dem Titel „Mein Cuba“ bestaunen. Das war allerdings noch nicht alles. Im ersten der schönen großen Räume der ehemaligen Fabrik war auch die Ausstellung mit Bildern von Heinz Zolper zu sehen, einem zeitgenössischen Maler. Besonders interessant war aber auch die Erfahrung von „Raum“ in diesem Gebäude. Es gab an keiner der Wände ein Fenster. Das Licht, das von oben kam, verlieh jedem der insgesamt 4 hintereinander liegenden Räume die besondere Atmosphäre, in der konzentriertes Schauen, Zuhören oder Arbeiten optimal ermöglicht wird. Die Architektur hatte in jedem Raum an einer Seite zwischen Seitenwand und Decke jeweils ein Band von schräg gesetzten Fenstern vorgesehen. So ergaben sich die ganz besonderen Lichtverhältnisse, die speziell von Künstlern der Bildenden Kunst geschätzt werden. Dieses alte seit ca. einem Jahr renovierte Fabrikgebäude war nun die Kulisse für die Reise, die länger als eineinhalb Stunden dauerte.
Es begann damit, dass Roger Willemsen uns alle anstelle des Gastgebers, Herrn Horbach, begrüßte - begrüßen musste, weil der dazu wegen eines kleinen gesundheitlichen Missgeschicks nicht in der Lage war. Die verhältnismäßig lange Begrüßung des Publikums durch Roger Willemsen, der auch Michael Horbach in die Ansprache mit einbezog, war so voll von komödiantenhaftem Witz und kreativem Gedankenreichtum, dass das Publikum einen Vorgeschmack auf das Folgende erhielt, das nicht aus seinem neuen Buch vorgelesen sondern frei referiert wurde.
Die Reise an „die Enden der Welt“ beginnt mit einem Bekenntnis von Roger Willemsen: „Ich habe mich schon lange auf Sie gefreut, während der ganzen Zeit meiner langen Reisen“! Warum, das war am Ende seines Berichtes verständlich. “Stellen Sie sich vor, Sie bohrten ein Loch hier in Köln in die Erde und bohrten diagonal durch die Erdkugel, sie befänden sich auf den „Freundlichen Inseln von Tonga“! „James Cook hat sie beschrieben!“ Oder aber, Sie tauchen in eines der Bilder von Gauguin ein und …, was dann folgt ist eine Reise von den freundlichen Inseln über einen unbekannten Ort nahe Katmandu, wieder über Afghanistan, dort an die entlegensten Plätze mit den unerhörtesten Begebenheiten, außergewöhnlichen Situationen zu deren Ausmalung unsere Fantasie nicht reicht. Wir treffen auf Menschen in den entlegensten Ecken der Welt, skurile, tragische, kranke traurige schöne, wunderschöne und häßliche Menschen mit ihren Wohnorten und Alltagen, wir treffen auf all das, auf das man nur trifft, wenn man auf eine bestimmte Art reist. Erschütterung, Trauer gefolgt von Freude und Glück, von Frust und Sorge, ein großer Gefühlsreichtum lässt uns unsere Lebendigkeit wahrnehmen.
Wir alle, hatte Willemsen gesagt, kennen es nur zu gut, das, was wir unser Zuhause nennen, mit all den Alltäglichkeiten, alltäglichen Routinen, Gewohnheiten und gewohnten Personen. Hier können wir uns nicht erneuern, hier schläft allmählich die Selbstwahrnehmung ein.
Beim Reisen ist das anders. Nicht wenn wir mit TUI reisen, wenn wir auf die übliche Art reisen also. Wenn wir aber ins Unbekannte reisen, auf uns allein gestellt, dorthin, wo sich kein Tourist finden lässt, wo selbst die Sprache und die Verständigung zum Abenteuer, ja zur Existenzbedrohung werden kann, da stößt man an Grenzen seiner Existenz, da stößt man an Grenzen, die Einsamkeit bedeuten.
Roger Willemsen nimmt uns mit, lässt uns teilhaben an den aberwitzigsten Situationen und Begebenheiten. Dabei stellt er eine Intimität zwischen dem Zuhörer und sich her, die das Wahrzeichen echter, gelungener Kommunikation ist, einer Kommunikation, die Einsamkeit überwindet. So versteht man am Ende des Abends, warum Roger Willemsen sich auf Köln und seine Zuhörer so lange gefreut hat. Schon zu Beginn seiner langen Reisen ins Unbekannte weiß er, wie angewiesen die Spezies Mensch auf das Heimkommen ist.
Natürlich bekommt Roger Willemsen langen, langen Applaus. Wir treffen ihn noch beim Signieren seiner Bücher und dann wieder beim geselligen Beisammensein im letzten der 4 wunderbaren Räume von Michael Hormann. Hier können wir miteinander essen und trinken und plaudern. Es gibt Gelegenheit einander kennen zu lernen.
Ob ich mir wenigstens einen der vielen bemerkenswerten Sätze dieses Vorleseabends gemerkt habe, möchte ich mich bei Roger Willemsem persönlich vergewissern. Ich trage ihm folgenden Satz vor: „Es ist die Pantomime des Gegenübers, die das Gespräch führt.“ Roger Willemsen korrigiert: „leitet“. Es muss heißen: „Es ist die Pantomime des Gegenübers, die das Gespräch leitet!“ Ja, natürlich, das ist es! Ich bin begeistert und spüre die Herzlichkeit meines Gegenübers.
Auch diese Veranstaltung des Kunstsalons wird lange in Erinnerung bleiben.
Hier noch einmal die wichtigsten Daten zur Information:
http://michael-horbach-stiftung.de/kunstraeume.html
Hier kann man das Programm ansehen und alles weitere Wissenswerte über das 12. Literatur-Festival „Literatur in den Häusern der Stadt“ erfahren.
15. Juni 2012
Gudrun Schwichtenberg