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Pestizid-Studie: 88 Prozent der verkauften Pestizide ohne aktuelle Risikoprüfung

Umweltinstitut LogoMünchen, 5. Juni 2025.  Eine Analyse im Auftrag des Umweltinstituts München zeigt: Die EU verlängert systematisch die Genehmigung teils besonders gefährlicher Pestizide, ohne die Risiken für Umwelt und Gesundheit zu prüfen. Möglich macht das ein gesetzliches Schlupfloch, das ursprünglich für Ausnahmen gedacht war. Das Umweltinstitut fordert, diese Praxis der „technischen Verlängerungen“ zu beenden und gefährliche Stoffe schnellstmöglich vom Markt zu nehmen.

Verbraucher:innen vertrauen darauf, dass Pestizide regelmäßig nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft auf mögliche Gesundheits- und Umweltrisiken geprüft werden. Doch das ist oft nicht der Fall. Artikel 17 der EU-Pestizidverordnung erlaubt es, eine abgelaufene Genehmigung vorübergehend zu verlängern, wenn eine fristgerechte Neubewertung – etwa durch die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA – noch nicht abgeschlossen wurde. Doch was als Einzelfallregelung gedacht war, ist längst zur Regel geworden: Allein seit 2011 wurden über 1.300 solcher technischer Verlängerungen erteilt, oft mehrfach hintereinander – und das obwohl europaweit nur etwa 350 Wirkstoffe zugelassen sind. In etlichen Fällen liegt die letzte Risikoprüfung schon viele Jahre zurück, im Extremfall schon 20 Jahre.

In Deutschland basierten im Jahr 2023 ganze 88 Prozent der verkauften Menge an Pestiziden auf Wirkstoffen, deren reguläre Genehmigung abgelaufen war – mit entsprechenden Folgen für Gesundheit und Umwelt. EU-weit zeigt sich ein ähnliches Bild: 2024 waren knapp 70 Prozent der chemisch-synthetischen Wirkstoffe ausschließlich durch technische Verlängerungen zugelassen. Derzeit gibt es in der gesamten EU nur drei chemisch-synthetische Wirkstoffe auf dem Markt, für die noch nie eine technische Verlängerung erteilt wurde. Zudem werden technische Verlängerungen für immer längere Zeiträume ausgesprochen.

„Die EU-Kommission nutzt eine Lücke in der Pestizidverordnung systematisch, um riskante Stoffe im Verkehr zu halten – zu Lasten von Umwelt und Gesundheit“, sagt Lars Neumeister, Pestizidexperte und Autor der Studie. „Das ist kein bloßer Verwaltungsfehler, sondern eine strukturelle Aushöhlung des Vorsorgeprinzips.“ Neue wissenschaftliche Erkenntnisse – etwa zu langfristigen Gesundheitsrisiken, Umweltbelastung oder Rückständen im Grundwasser – bleiben während der Verlängerungsverfahren häufig unberücksichtigt.

Gefährliche Stoffe weiter im Einsatz
Die Analyse nennt konkrete Beispiele für besonders toxische Wirkstoffe, die trotz abgelaufener Genehmigung weiterhin verwendet werden:

  •     Chlortoluron: Gilt als vermutlich krebserregend, kann das Hormonsystem beeinträchtigen und steht im Verdacht, die gesunde Entwicklung eines Fötus in der Schwangerschaft zu schädigen. Das Herbizid gelangt immer wieder in Gewässer, in denen es sich kaum abbaut. Die Zulassung sollte schon Anfang 2016 enden, es wird aber immer noch eingesetzt.
  •     Pendimethalin: Wird in den USA als “möglicherweise krebserregend” eingestuft und gilt in der EU als vermutlich schädlich für das ungeborene Kind. Trotzdem wurde die Genehmigung Ende 2023 ohne neue Risikoprüfung bis 2027 verlängert.
  •     Flufenacet: Verursacht erhebliche Belastungen von Böden und Gewässern, da es als Abbauprodukt Trifluoracetat bildet, eine Ewigkeitschemikalie, die als fortpflanzungsgefährdend gilt und das Grundwasser kontaminiert. Flufenacet stört den Hormonhaushalt des Menschen und ist chronisch giftig für Wasserorganismen. Auch hier läuft die Genehmigung bereits seit fast zehn Jahren unter technischer Verlängerung.

Umweltinstitut: Keine Risikoprüfung, keine Zulassung
Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut, fordert ein grundlegendes Umdenken: „Technische Verlängerungen dürfen nur noch absolute Ausnahmen sein. Die EU muss sich endlich an die gesetzlichen Bewertungsfristen halten und klarstellen: Ohne aktuelle Risikoprüfung darf es keine Genehmigung geben – auch nicht auf Zeit. Was nicht geprüft ist, muss vom Markt genommen werden.“

Mehr Informationen sind auf der Website des Umweltinstituts zu finden.

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