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Rechtsgutachten: Ausnahmen vom Insektenschutz in NRW rechtswidrig

umweltMünchen, 17. März 2022. Kaum war das Insektenschutzgesetzpaket im September 2021 bundesweit in Kraft getreten, hebelte das Agrarministerium in Nordrhein-Westfalen den ohnehin schwachen Insektenschutz mit pauschalen Ausnahmeregelungen für den Pestizideinsatz wieder aus. Ein Rechtsgutachten im Auftrag des Umweltinstituts München kommt nun zu dem Ergebnis: Das Vorgehen des NRW-Agrarministeriums ist rechtswidrig. Das Umweltinstitut befürchtet Nachahmung in anderen Bundesländern und fordert die Landesregierung auf, die Ausnahmeregelungen umgehend zurückzunehmen.

Das seit September 2021 bundesweit gültige Gesetzespaket zum Insektenschutz regelt, dass bestimmte Pestizide zum Beispiel in Naturschutzgebieten, Nationalparks und gesetzlich geschützten Biotopen nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Doch das NRW-Agrarministerium verwässerte diesen verbesserten Insektenschutz gleich wieder und reagierte auf die neuen Regeln mit einem Erlass, der großzügige Ausnahmen erlaubt: In NRW können demnach Landwirt:innen, die mehr als 30 Prozent ihrer Ackerflächen in Schutzgebieten bewirtschaften, einfach und rasch Ausnahmezulassungen von der zuständigen Landwirtschaftskammer erhalten. „Diese Ausnahmen ermöglichen, dass weiterhin Pestizide zum Einsatz kommen, die als gefährlich für Bienen und andere Bestäuber gelten“, sagt Christine Vogt, Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut. „Wirtschaftliche Interessen werden ohne genauere behördliche Prüfung über den Schutz der biologischen Vielfalt gestellt. Angesichts des alarmierenden Insektensterbens ist dieses Vorgehen unverantwortlich.“

Rechtsgutachten: Erlass ist mit Insektenschutzgesetz nicht vereinbar

Im Auftrag des Umweltinstituts erstellte die Anwaltskanzlei GGSC ein Rechtsgutachten zu dem Erlass aus NRW. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die in NRW getroffene Ausnahmeregelung nicht rechtmäßig ist.

Das Insektenschutzgesetz, genauer die Änderung in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung sieht vor, dass ausnahmsweise ein ansonsten verbotener Pestizideinsatz erlaubt werden kann, wenn so ein „erheblicher wirtschaftlicher Schaden“ abgewendet wird. Dem NRW-Erlass zufolge ist jedoch schon eine Ausnahme möglich, wenn 30 Prozent der bewirtschafteten Ackerfläche eines Betriebs in einem Schutzgebiet liegt. Ausnahmezulassungen auf Grundlage des 30-Prozent-Kriteriums sind rechtswidrig, denn die 30-Prozent-Schwelle sei als Kriterium für den „erheblichen wirtschaftlichen Schaden“ ungeeignet, so das Gutachten. Der NRW-Erlass läuft darauf hinaus, schon allein die Lage von Ackerflächen in einem Schutzgebiet als Schaden einzustufen.  Ob durch das Anwendungsverbot wirklich ein wirtschaftlicher Schaden droht, müsste jedoch im Einzelfall geprüft werden. Welche Bewirtschaftung ist im Schutzgebiet geplant? Ist dafür wirklich der Einsatz von Pestiziden notwendig, die an sich im Schutzgebiet verboten sind? Dem NRW-Erlass zufolge müssen Landwirt:innen keine Angaben zur Anbauplanung machen, oder ob ein Pestizideinsatz erforderlich ist und wie hoch der Schaden ist.

Darüber hinaus sieht das Gutachten in den Zulassungen ein Abwägungsdefizit: Berücksichtigt wird nur der wirtschaftliche Schaden der Landwirt:innen, ohne abzuwägen, was ein Einsatz der Pestizide für die Umwelt bedeuten würde. „Unser Fazit lautet: Dieser Erlass läuft auf eine schematische und rechtswidrige Vollzugspraxis hinaus, die das gerade ausgeweitete Pestizid-Anwendungsverbot in Schutzgebieten systematisch zu unterlaufen droht“, sagt Rechtsanwalt Achim Willand, der das Gutachten verfasst hat.

Das Umweltinstitut wendet sich nun in einem offenen Brief an die westfälische Agrarministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) und fordert sie auf, die rechtswidrige Ausnahmeregelung umgehend zurückzunehmen. „Wir fordern Vorgaben, die gewährleisten, dass Pestizide tatsächlich dort nicht mehr eingesetzt werden, wo sie verboten sind“, sagt Vogt. „Denn wenn die neuen Regeln derart einfach zu umgehen sind, könnten solche Ausweichmanöver schnell Nachahmung in anderen Bundesländern finden. Dies ist zum Beispiel in Rheinland-Pfalz bereits zu beobachten.“

 Quelle: www.umweltinstitut.org